20 Nov 2025
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Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat am 13. März 2025 die sechste Runde seiner umfassenden Befragung zu Sicherheit und Kriminalität in Niedersachsen gestartet. Bis Mitte April werden 40.000 zufällig ausgewählte Einwohner des Bundeslandes postalisch kontaktiert – mit einer Ankündigung, einem Fragebogen und einem frankierten Rückumschlag. Die Teilnahme ist freiwillig, anonym und entscheidend für ein realistisches Bild der Kriminalitätslage. Denn: Was in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht erfasst wird, kann hier sichtbar werden. Das Dunkelfeld. Die Angst. Die Erfahrungen, die niemand anzeigt.
Warum diese Befragung mehr als nur Zahlen erfasst
Die PKS für 2024, die Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens im März vorgestellt hat, klingt positiv: 4,33 Prozent weniger Straftaten, eine Aufklärungsquote von 62,77 Prozent, 6.485 Taten pro 100.000 Einwohner. Doch hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine Lücke – die der subjektiven Wahrnehmung. Viele Opfer melden ihre Erlebnisse nicht: eine Diebstahlserie im Viertel, eine bedrohliche Begegnung am Abend, ein Messerangriff, der als "Gewalt unter Jugendlichen" abgetan wird. Genau diese Fälle will das LKA Niedersachsen jetzt erfassen – nicht als Statistik, sondern als Lebensrealität.Die Befragung fragt nicht nur: "Waren Sie Opfer?" Sondern: "Wie sicher fühlen Sie sich auf dem Weg zur Arbeit?" "Vertrauen Sie der Polizei?" "Haben Sie Ihre Nachbarn im Blick?" Es geht um das Gefühl, das sich in den Köpfen festsetzt – und das oft schwerer zu bekämpfen ist als jede Straftat.
Wie die Befragung funktioniert – und warum sie so sorgfältig aufgebaut ist
Jeder der 40.000 Haushalte erhält drei Schreiben: Zuerst eine offizielle Ankündigung vom LKA, dann den Fragebogen mit 25 bis 30 Fragen – strukturiert, klar, in einfacher Sprache. Einige Fragen beziehen sich auf konkrete Erlebnisse der letzten zwölf Monate, andere auf allgemeine Ängste. Die letzte Mail ist ein Dankeschön – und eine sanfte Erinnerung: "Ihre Antwort zählt." Die Methodik ist kein Zufall. Sie orientiert sich an den Befragungen des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Doch die Fragen wurden angepasst – mit Input aus Sozialwissenschaften, Psychologie und der Praxis der Polizei. Die Ergebnisse aus 2021 zeigten beispielsweise, dass ältere Menschen oft weniger Angst vor Gewalt haben, aber viel stärker von Einbrüchen betroffen sind – ein Muster, das nun auf seine Aktualität geprüft wird.Die letzte Welle 2024 hatte fast 15.900 Teilnehmer. Diesmal wird die Stichprobe fast dreimal so groß – um kleinere Regionen wie den Landkreis Cuxhaven oder den Harz mit gleicher Genauigkeit abzubilden wie Hannover oder Göttingen. Die Daten werden anonymisiert, verschlüsselt und nur von ausgewählten Forschern des LKA ausgewertet. Keine Einzelperson wird identifizierbar sein. Aber das Gesamtbild? Das wird entscheidend.
Die Messerangriffe – das unsichtbare Problem
Ministerin Behrens sprach von einem "sicheren Land". Doch sie fügte hinzu: "Die Zahl der Messerangriffe bleibt auf deutlich zu hohem Niveau." Das ist der Punkt, an dem die PKS versagt. Viele dieser Fälle werden nicht als schwerwiegende Straftaten gemeldet – sondern als "Streit unter Jugendlichen" oder "unbegründete Angst" abgetan. Doch die Folgen sind real: Verletzungen, Traumata, eine Bevölkerung, die sich zunehmend von öffentlichen Plätzen zurückzieht.Die Befragung soll zeigen: Wo passieren diese Vorfälle? In welchen Stadtteilen? Zu welcher Uhrzeit? Wer ist betroffen – und warum fühlen sich manche Menschen trotz niedriger PKS-Zahlen unsicher? Die Antwort wird nicht nur die Polizei, sondern auch Kommunen, Schulen und Sozialarbeiter beeinflussen. Eine Präventionskampagne, die nur auf Statistiken baut, bleibt blind.
Was kommt nach der Befragung – und warum es jeder betrifft
Die Auswertung dauert bis Herbst 2025. Dann erscheint ein öffentlicher Bericht – wie 2017 und 2021 – mit detaillierten Landkreisdaten, Altersvergleichen und Trends. Und dann? Dann handelt die Polizei. Vielleicht wird mehr Personal in bestimmten Stadtteilen eingesetzt. Vielleicht gibt es neue Präventionsprogramme in Schulen. Vielleicht werden Lichtanlagen in Parks verbessert, oder Polizeibeamte bekommen zusätzliche Schulungen im Umgang mit Jugendlichen.Diese Befragung ist kein bloßer Forschungsakt. Sie ist ein Dialog zwischen der Gesellschaft und ihren Sicherheitsbehörden. Und sie ist die einzige Möglichkeit, die Angst zu messen – nicht die Straftaten.
Wie oft wird das gemacht – und warum alle drei Jahre?
Alle drei Jahre. Das ist kein Zufall. Zu oft, und die Bevölkerung wird überlastet. Zu selten, und man verliert den Trend. Die Rhythmus ist bewusst gewählt: Lang genug, um Veränderungen sichtbar zu machen, kurz genug, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Die erste Befragung fand 2008 statt. Seitdem hat sich vieles verändert – die Digitalisierung, die Migration, die Art der Gewalt. Doch die Grundfrage bleibt: Wie sicher fühlen sich die Menschen? Und was kann man dagegen tun?Was die Ergebnisse 2025 zeigen werden, ist ungewiss. Aber eines ist klar: Wer sich nicht an der Befragung beteiligt, gibt sein Sicherheitsgefühl – und damit seine Stimme – auf. Und das ist der größte Verlust.
Frequently Asked Questions
Warum werden nur 40.000 Personen befragt, wenn Niedersachsen über 8 Millionen Einwohner hat?
Eine repräsentative Stichprobe von 40.000 Personen reicht aus, um mit einer statistischen Fehlerquote von unter 1 % das gesamte Land abzubilden. Die Auswahl erfolgt zufällig und gewichtet nach Alter, Geschlecht und Region – so wird sichergestellt, dass auch ländliche Gebiete und Großstädte korrekt vertreten sind.
Was ist das Dunkelfeld, und warum ist es so wichtig?
Das Dunkelfeld umfasst Straftaten, die nicht bei der Polizei angezeigt werden – etwa weil Opfer Angst haben, nicht glauben, oder es als "nicht wichtig" einstufen. In Niedersachsen schätzen Experten, dass bis zu 60 % aller Diebstähle und 70 % aller Körperverletzungen ungemeldet bleiben. Ohne diese Daten bleibt die Polizei blind für echte Probleme.
Wie verhindert das LKA, dass die Daten missbraucht werden?
Alle Daten werden anonymisiert und verschlüsselt gespeichert. Keine persönlichen Informationen wie Name, Adresse oder Telefonnummer werden erfasst. Der Zugriff ist streng begrenzt – nur vier Forscher des LKA Niedersachsen dürfen die Rohdaten bearbeiten. Nach der Auswertung werden alle Dateien gelöscht.
Warum ist die Befragung wichtig für mich als Bürger?
Ihre Antwort entscheidet, wo mehr Licht in Parks installiert wird, wo Polizeipatrouillen verstärkt werden oder ob Schulen mehr Gewaltprävention bekommen. Ohne Ihre Stimme bleiben Sicherheitsmaßnahmen willkürlich – mit Ihrer Teilnahme werden sie gezielt und wirksam.
Wann und wo werden die Ergebnisse veröffentlicht?
Die Ergebnisse werden voraussichtlich im Oktober 2025 auf der Website des Landeskriminalamts Niedersachsen als umfassender Bericht veröffentlicht – inklusive interaktiver Karten und Vergleichsdaten zu 2021. Auch die Landesregierung wird sie in einer Pressekonferenz vorstellen.
Was passiert, wenn ich den Fragebogen nicht ausfülle?
Ihre Teilnahme ist freiwillig – aber jede fehlende Antwort verzerrt das Bild. Wenn viele Menschen absagen, kann die Polizei nicht mehr genau erkennen, wo die echten Probleme liegen. Das bedeutet: Maßnahmen werden weniger gezielt – und vielleicht genau dort eingesetzt, wo sie nicht gebraucht werden.